Die Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch organisierte 1993 und 1994 zwei Studienfahrten in die Ukraine und nach Polen.
Die erste Reise im April 1993 trug den Titel „Reise nach Galizien – eine Bildungsreise auf den Spuren jüdischen Lebens nach Krakau, Przemysl und Lemberg“. Sie sollte einen Einblick in die in Deutschland weitgehend unbekannte politische Geschichte und Kultur der Region vermitteln. Die Fahrt war begleitet von Referaten, Gesprächen mit Zeitzeugen und Experten sowie Besuchen und Besichtigungen.
Die Studienfahrt begann mit einem Referat zur Geschichte Galiziens in der Zeit der Habsburger Monarchie und die Entstehung einer multiethnischen Gesellschaft mit dem Hauptzentrum Krakau und Lemberg unter österreichischem Protektorat in 19. Jahrhundert. Eine Stadtführung brachte uns in die Altstadt von Krakau mit der historischen Universität und in das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz, in die Synagoge und auf den jüdischen Friedhof von Krakau. In Lemberg/Lwow/Lviv wurde ein Einblick in die wechselhafte Geschichte der Stadt unter polnischer, österreichischer, deutscher, sowjetischer und ukrainischer Herrschaft gegeben. Auch in Lemberg wurde das jüdische Viertel besucht und einige ehemalige Synagogen besichtigt, die in der sowjetischen Zeit als Sport- und Gymnastikhallen genutzt wurden.
Ein weiteres Thema war hier auch die Architektur der Stadt in den verschiedenen Epochen. Es fanden Gespräche mit dem Dekan und mit Studierenden der Universität zu den wirtschaftlichen Perspektiven der Ukraine sowie zu dem seinerzeit aktuellen Thema „Kontrolle der in der damals noch in der Ukraine vorhanden Atomwaffen, die Schwarz-Meer-Kriegsflotte und die Privatisierung der Wirtschaft statt. Ein Ausflug führte in das Freilichtmuseum am Rande der Stadt, durch die ein Bild der Volkstraditionen der Boyken, Huzulen und Lemken vermittelt wurde.
Die zweite Studienfahrt im März 1994 trug den Titel „Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Ukraine – eine Bildungsreise nach Odessa, Jalta und Kiew.“ Auch diese Reise begann in Krakau und führte zunächst nach Odessa, wo der Besuch mit einem Vortrag begannt, in dem über die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihre politische, kulturelle und wirtschaftliche Situation nach der Umwandlung der ukrainischen sozialistischen Sowjetrepublik in einen selbstständigen, demokratischen Staat berichtet wurde. Weitere Stationen waren Begegnungen mit ukrainischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen in der Maxim-Gorki-Bibliothek, ein Besuch des Literaturmuseums, ein literarischer Stadtspaziergang und natürlich eine Hafenrundfahrt und ein Besuch des Museums der Hafenflotte, wo nach Veränderungen in der Präsentation und Bewertung der Geschichte der sowjetischen Seestreitkräfte in der Ausstellung gefragt wurde.
Auf eine Besichtigung der Ruinen der von der Pädagogischen Hochschule genutzten ehemaligen Synagoge und dem jüdischen Friedhof folgte ein Gespräch mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Jüdischen Kulturvereins über Gegenwart und Zukunft der jüdischen Gemeinde in Odessa.
Die Studienfahrt führte weiter auf die Krim – mit einem Zwischenstop in der Stadt Cherson am Dnjepr.
Auf der Krim wurde das Tschechow-Museum im Dorf Werchnaja Autka, wo nach der Bedeutung der russischen Kultur auf der Krim in der Vergangenheit und Gegenwart gefragt wurde. Es gab ein Treffen mit einer pro-russischen Organisation, die sich während der damaligen Kommunalwahlen für den Wiederanschluss der Krim an Russland eingesetzt hatte.
Ein weiterer Punkt war eine Fahrt nach Groß-Jalta und zum Gut Liwadia, das im Februar 1945 Schauplatz der Konferenz von Jalta gewesen war. In Jalta gab es auch Gespräche mit der Kulturverwaltung der Stadt zu Fragen der Umgestaltung des Amtes zu einer modernen Verwaltung in einem demokratisch verfassten Staat.
In Kiew standen – neben Besichtigungen und Vorträgen über die wechselvolle Geschichte der Stadt, ein Treffen mit Vertretern und Vertreterinnen der Organisation der „Kinder von Tschernobyl“ auf dem Programm. Hier ging es um Hintergrundinformationen über die Ursachen und Folgen des Reaktorunfalls vom Mai 1986.
Der letzte Tag der Studienfahrt war dem Thema „Nationalsozialismus und Holocaust in Kiew“ gewidmet. Neben vorbereiteten Vorträgen der einzelnen Teilnehmer:innen der Fahrt gab es einen Besuch der Gedenkstätte „Babyn Jar“, dem Mahnmal der Judenvernichtung in Kiew. Der letzte Tag der Reise war dem „Leben in der ukrainischen Stadt Kiew heute“ gewidmet. Dazu gehörte u.a. ein Treffen mit Mitgliedern der ukrainisch-nationalen Bewegung „Ruch“ und eine Diskussion über deren Zukunftsvorstellungen für die Stadt.